Fragt man alteingesessene Bürger Niederlehmes nach Wiesenhof, so wird von diesen noch heute gerne von KIM gesprochen, obwohl man Wiesenhof meint. Dies irritiert den ortsfremden Besucher zunächst, daher möchte ich auf die Geschichte vom VEB KIM (Kombinat für industrielle Mast) in Niederlehme etwas näher eingehen.

Die agrarpolitische Zielsetzung in der SBZ/DDR richtete sich seit 1945 vornehmlich auf eine möglichst weitgehende Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sowie auf die Belieferung der Industrie mit landwirtschaftlichen Rohstoffen aus einheimischer Produktion (hoher Selbstversorgungsgrad). Der Nahrungsgüterimport sollte zunehmend auf Produkte, die aus klimatischen Gründen nicht in der DDR erzeugt werden konnten, sowie auf die Einfuhr von Zuchtmaterial beschränkt werden. Auf dem Wege zur sozialistischen Agrarverfassung sind in der SBZ/DDR folgende Phasen zu unterscheiden, die sich allerdings teilweise überlappen bzw. fließend ineinander übergehen:

  • A. Die Bodenreform 1945-1949;
  • B. Die erste Zuspitzung des Klassenkampfes auf dem Lande 1949-1952/53;
  • C. Die Kollektivierung 1952-1960;
  • D. Konsolidierung und Konzentration durch Kooperation 1960-1968;
  • E. Die Industrialisierung der Landwirtschaft 1968-1983 (1).

Erste Vorstellungen zur intensiven Geflügelhaltung wurden bereits auf dem V. Parteitag der SED 1958 formuliert (2). In den folgenden Jahren ging es der SED zunächst darum, die während der Kollektivierungskampagne des Jahres 1960 vielfach überhastet gebildeten LPG, die mehr einer Agglomeration von Einzelwirtschaften denn einem organisierten Großbetrieb entsprachen, mit einer funktionsfähigen inneren Organisation zu versehen, die Produktionseinbrüche der Jahre 1961/62 wettzumachen und diese neuen Genossenschaften in gefestigte LPG des Typs III zu überführen. Die Ende der 60er Jahre angestrebten Stallkapazitäten wurden 1974 nochmals erhöht und im Ergebnis für die einzelnen Tierarten folgende Richtgrößen für den Neubau von Stallanlagen vorgegeben.

Daneben entstanden aber auch Anlagen mit weit höheren Tierkonzentrationen als Volkseigene Kombinate für industrielle Mast (KIM), die – anders als die industriemäßigen Anlagen – in einem geschlossenen Produktionszyklus wirtschaften. Diese KIM sind in der VVB Industrielle Tierproduktion (ab 1.1.1984 VE Kombinat Industrielle Tierproduktion) zusammengeschlossen (3).

Mast 1 der MGS GmbH
Mast 1 der MGS GmbH

Die Kombinate für industrielle Mast (KIM) waren Hauptproduzenten der Goldbroiler und wurden erst Anfang der 70iger Jahre in der überregionalen Presse der DDR erwähnt. Diese KIM-Betriebe waren sogenannte Volkseigene Betriebe (VEB), also Staatsbetriebe, während in den ursprünglichen Konzepten noch von einer Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) die Rede war (4). In diversen DDR-Nachschlagewerken war der Goldbroiler nicht nur ein Agrarprodukt mit besonderem Namen, sondern diente der Bedarfsbefriedigung und Gesunderhaltung der DDR-Bevölkerung durch Geflügel aus moderner Großproduktion im Rahmen des „Projekts Broilerproduktion“. Dieses Projekt war aber keine geistige Eigenleistung der DDR-Führung, sondern eine kopierte Umsetzung des erfolgreichen Absatzsteigerungsprojektes der „Wienerwald-Ketten“ in Westdeutschland und Österreich. In der DDR sollten vornehmlich in Berlin (Ost) Grillrestaurants „Zum Goldbroiler“ als Versuch errichtet werden, die durch das KIM direkt beliefert werden sollten.

Im Jahr 1965 begann die DDR mit dem Aufbau der ersten staatlichen Produktionsbetriebe zur industriellen Hähnchenmast in Königs Wusterhausen1 und Möckern2. Problemfelder beim Aufbau waren Abstimmungsprobleme, Investitionsschwierigkeiten, Materialknappheit, Arbeitskräftemangel, Kadermangel, Wohnungsmangel, erhebliche technische Abstimmungsschwierigkeiten bezüglich der Lizenznahme englischer und jugoslawischer Vertragspartner zur TGL-gerechten Umsetzung in der DDR. Da in der DDR die nötigen Bauarbeiter beim Aufbau der KIM fehlten, wurden sogenannte Dienstleistungen, in diesem Fall Bauleistungen, aus Jugoslawien angekauft. Auch die Zusammenarbeit mit Ungarn (Hybridhuhn, Geflügelschlachtanlagen), Bulgarien (Hybridhuhn), Jugoslawien (Agrokombinat Imona, Fachleute) und der ČSSR (Sortieranlagen). Die politischen Ereignisse in der ČSSR 1968, die Unterstützer in Jugoslawien fanden, machten die Zusammenarbeit beim Aufbau der KIM nicht reibungsloser. Teils hatten die genannten sozialistischen Kooperationspartner des RGW`s Beziehungen zum NSW wie Österreich oder Westdeutschland, die man seitens der DDR-Führung vermeiden wollte.

Der 1. Januar 1967 war die Geburtsstunde von KIM als Broiler- und Legehennen-Kombinat in Niederlehme als Vorzeige und Pilotobjekt. Der manifestierte Wille zur Planung und Umsetzung wurde auf dem VI. Parteitag der SED unter der Führung von Walter Ulbricht gelegt und mit dem VII. Parteitag der SED realisiert.

Niederlehme als Standortwahl war optimal mit seiner Nähe zu Berlin. Die Infrastruktur mit Autobahnanbindung, das Fernverkehrs-Straßennetz, S-Bahnanbindung waren gute Voraussetzungen bei der Lösung logistischer Probleme.

Doch die industrialisierte Geflügelproduktion warf neue Fragen auf. Die Wissenschaftler der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (DAL) schlugen vor, Eierproduktion und Fleischmast grundsätzlich zu trennen. Ein Problem praktischer Natur (Sicherheitsproblem) war zum Beispiel die Nacht vom 17. auf den 18. September 1967, als es zu einem Ausfall der Ventilatoren für die Be- und Entlüftung der Broileraufzucht in einem Meisterbereich in Königs Wusterhausen kam. 14.000 sechs Wochen alte Broiler verendeten. Es entstand ein Schaden von 75000 Mark (5). Die Probleme wurden gemeistert, so dass ab den siebziger Jahren die DDR sogar in der Lage war, auf den Import von Schlachtgeflügel zu verzichten. Sie konnte gelegentlich sogar als Exporteur auftreten.

Einige Zahlen zum Produktionsergebnis des KIM Königs Wusterhausen in einer Tabelle zusammengefasst:

Tabelle zu Betriebszahlen KIM

Obwohl dies eine Erfolgsgeschichte war, so hatte diese auch eine Kehrseite, die weniger freundlich aussah. Die Erfolgsgeschichte basierte zu Lasten der Umwelt, Menschen und Tiere.

Beispiele: Wie schwer es war, ausreichende Bauleistungen für das KIM Königs Wusterhausen zu erwirken, zeigt sich an der Abwasserbeseitigungsanlage, die nicht termingerecht fertiggestellt worden war. Mit dem Ergebnis, dass das Abwasser des Schlachthofes in Niederlehme direkt in ein ehemaliges Kalksandsteinwerk abfloss und zu Verseuchungen und Geruchsbelästigungen führte (5). Anfang des Jahres 1969 wurde der Hühnerkot lediglich in einen ehemaligen Steinbruch abgekippt. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Entsorgungsfrage zu einem generellen Problem.

Regenwasser wird in den benachbarten Wald abgeleitet (WSH 1). Gelegentlich bildet sich dabei Schaum.
Regenwasser wird in den benachbarten Wald abgeleitet (WSH 1). Gelegentlich bildet sich dabei Schaum.

1972 fielen in den KIM-Betrieben täglich 850 t Geflügelexkremente an und man rechnete damit, dass die Menge im Verlauf der kommenden Jahre bis auf 1.000 t (1) ansteigen würde. Es gab Versuche, den Geflügelmist zu trennen bzw. zu trocknen, um ihn in getrockneter Form in der Rindermast verfüttern zu können. Die Fäkalien führten während der Verarbeitung zu extremen Geruchsbelästigungen und das für die Neutralisation der Abgase nötige Kaliumpermanganat stand in der DDR-Volkswirtschaft nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. In der Geflügelmast zeichnete sich seit 1970 ab, dass die intensive Haltung und Konzentration großer Tierbestände die Gefahr des Ausbruchs von Krankheiten ständig vergrößerte. Elterntierküken mussten aufgrund von Leukose (Leukämie), einer schwerwiegenden Tiererkrankung getötet werden. Im April 1970 brach in einem der KIM-Betriebe im Umfeld Berlins die Geflügelpest aus. Dies war in 2 1/2 Jahren das erste Mal, dass diese Krankheit sich in einer Geflügelzuchtanlage zur Epidemie auswuchs (6).

Positive Effekte von KIM Königs Wusterhausen waren der Wohnungsbau für Mitarbeiter, langfristige Bindung der weiblichen Belegschaft diente der Festschreibung von Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen im Betriebskollektivvertrag, Fachkräfteausbildung, Schaffung von Erholungsmöglichkeiten (Prerow) sowie Jugendförderung im Ort.

Mit der Wende 1989/90 wurde auch KIM Königs Wusterhausen abgewickelt und in die Neue Zeit durch einen Eigentümerwechsel überführt. Leider lässt sich nicht genau ermittelt ob die Überführung 1991 oder 1992 stattfand. Sicher ist, dass es Anfang der 90iger Jahre war. Die neue Geschichte schrieb dann der Wiesenhof-Konzern, der als Teil der PHW-Gruppe der größte Geflügelmäster und -Verarbeiter Deutschlands ist. Weiterlesen…

Text: Thomas Nitzsche


Quellen:

1 Die Agrarpolitik der DDR, http://hehl-rhoen.de/pdf/agrarpolitik.pdf, Seite 3, 4

2 http://www.zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/deliver/index/docId/553/file/Poutrus_Goldbroiler_2002.pdf

3 Die Agrarpolitik der DDR, http://hehl-rhoen.de/pdf/agrarpolitik.pdf, Seiten 8,11, 12

4 Patrice G. Poutrus, „… mit Politik kann ich keine Hühner aufziehn.“ Das Kombinat Industrielle Mast

und die Lebenserinnerungen der Frau Knut, in: Thomas Lindenberger (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn, S. 235-265.
5 http://www.zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/deliver/index/docId/553/file/Poutrus_Goldbroiler_2002.pdf, S, 114, 146
6 http://www.zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/deliver/index/docId/553/file/Poutrus_Goldbroiler_2002.pdf, S, 185, 186